Interview mit Kristen Truempy (Botschafterin der positiven Psychologie) — Teil 2 — Was du am Morgen tun kannst, um die Chance auf einen glücklichen Tag zu erhöhen

Juni 28, 2019

Wer möchte schon nicht ein erfülltes und glückliches Leben führen?

Kristen Truempy hat positive Psychologie studiert und ist Botschafterin der positiven Psychologie. Sie podcastet regelmässig zum Thema (über 550'000 Downloads), gibt Kurse an der Volkshochschule Zürich und Einzelcoachings.

Ich durfte Kristen per Skype über die positive Psychologie und zum Thema Glück interviewen. Das Gespräch war total lustig, spannend, und voll von positiver Energie. 

Im Teil 2 geht es unter anderem darum, was du am Morgen tun kannst, damit du die Chance erhöhst, einen glücklichen Tag zu haben und welche Denkmuster dich am meisten hindern, glücklich zu sein.

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Teil 1 von unserem Gespräch findest du hier

Teil 3 von unserem Gespräch findest du hier.

Teil 4 von unserem Gespräch findest du hier.

Liebe Kristen, kannst du mir erklären, ob man das Glück messen kann? Wie macht man das?

Ja, in der positiven Psychologie messen wir das Glück. Das unterscheidet uns von anderen Glücksphilosophien. Ich möchte jedoch klar stellen, dass wir aus meiner Sicht deswegen nicht besser sind. Wir haben einfach entschieden, die Dinge zu messen. Mit „wir“ meine ich jetzt Psychologen und Forscher, also die Leute, die positive Psychologie betreiben.

Man kann es messen, aber die Frage ist natürlich immer wie misst man das. Vieles in der Psychologie wird ja einfach anhand von Fragebogen gemacht, und da kann man sich endlos darüber streiten, wie viel Sinn das macht. Aber es gibt auch anderes. In der positiven Psychologie gibt es zum Beispiel Leute wie Barbara Fredrickson, die Emotionen erforschen. Sie macht ihre Forschungen anhand von Dingen wie Herzvariabilität, und das ist ja dann sehr objektiv, das kann man zumindest nicht bewusst beeinflussen.

Ich bin nicht ein Fan von Fragen wie „Wie zufrieden sind Sie mit Ihrem Leben?“, da kriege ich persönlich immer die Krise. Aber die Forschung würde sagen, ja, man kann es messen. Wie viel Wert diese Resultate haben, muss man abschätzen. Man hat ja zum Beispiel diese Glücksstudien, die ergeben, dass zum Beispiel Dänemark das glücklichste Land der Welt ist. 2015 war sogar die Schweiz auf dem ersten Platz.
Da denken die Leute natürlich sofort, diese Messungen sind schrott. Aber man muss unterscheiden, ob es für einem persönlich oder für eine ganze Nation hilft. Hilft es für einem persönlich, wenn man es nur einmal macht, dann würde ich sagen, nein, das ist ziemlich nutzlos. Aber es hilft, wenn man es regelmässig macht, sei es mit sich selber oder mit einer Nation. Wenn man es regelmässig macht, dann kann man vergleichen und das sagt dann etwas aus.

Man hört ja aus der Glücksforschung, dass unser Glück nur 10% abhängig von äusseren Umständen ist wie zum Beispiel vom Beruf/Beziehung/Einkommen. Ist das so und wieso?

Bei solchen Durchschnittswerten muss man immer vorsichtig sein. Nehmen wir mal an, diese Information würde stimmen, was würde es bedeuten?

Würde es bedeuten, dass ich jeden Tag 10%, also 2,4 Stunden voll beeinflusst bin von den äusseren Umständen und die restliche Zeit nicht? Oder würde es heissen, so ein bisschen weniger als einmal die Woche bin ich beeinflusst, aber die restlichen Tage nicht? Also verstehst du was ich meine? Ich denke der Wert dieser Information ist beschränkt darauf, was man damit machen will. 

Die Autorin Sonja Lyubomirsky wollte damit aufzeigen wollte, dass wir häufig glauben, der Grund warum wir unglücklich sind oder etwas nicht funktioniert, sei etwas, was aus den Umständen heraus kommt. Aber dann, wenn man mal einen Schritt zurück macht und sich fragt aber wie kommt es, dass Leute, die mit viel schlimmeren Umständen zurechtkommen müssen als wir, glücklicher sind als wir. Und dann denken wir, ja Moment mal, da kann ja etwas nicht stimmen.

Zurück zu deinem Beispiel, das ist etwas gemixt, man kann es nicht so schön kategorisieren im Leben. Eine Beziehung zum Beispiel ist nicht ein äusserer Umstand. Wenn eine Beziehung schlecht ist, dann beeinflusst das total. Aber was das Kuchendiagramm aussagt, ist, dass wir auch Kontrolle darüber haben. Wir können beeinflussen, einerseits mit wem wir zusammen sind und andererseits worauf wir uns fokussieren. Denn wenn wir sagen, wir haben eine schlechte Beziehung, dann ist das ja schon eine komplett generalisierte Aussage. Was bedeutet das? Bedeutet es, dass er/sie dich jeden Tag schlägt? Oder bedeutet es, dass er/sie am Abend müde ist und dich ignoriert? Und das sind völlig unterschiedliche Dinge. 

Das heisst, hat man Leute verglichen und sie gefragt, ob sie glücklich sind oder nicht, hat man gesehen, dass die äusseren Umstände nur 10% von allen Unterschieden erklären kann, aber 90% nicht.

Ich finde das schon erstaunlich, weil die existenzielle Grundbedürfnisse wie essen zu haben oder ein Dach über dem Kopf sind doch so zentral. Ist es bei diesen Dingen auch so, dass diese nicht so einen grossen Einfluss haben auf das Glücklichsein wie man vielleicht denkt?

Ich denke, da muss man unterscheiden. Wenn jemand zum Beispiel am verhungern ist, also ein akutes Bedürfnis hat, dann ist es natürlich schon sehr viel schwieriger, glücklich zu sein. Ich sage nicht, dass es unmöglich ist, aber es ist sehr viel schwieriger.

Wir denken immer sofort an diese Extrembeispiele. Wenn man sich jetzt selber vorstellt, man hat gegessen, und man fühlt gerade nicht wahnsinnig starke Schmerzen oder so. Es gibt Leute, die haben chronische Schmerzen, das ist schwierig, aber wenn man tausend Schmerzpatienten sieht, dann wird man feststellen, dass einhundert davon trotzdem positiv sind. warum geht das? Und das ist das interessante.

Und was es wirklich schwierig macht, ist oft die Einstellung, und das klingt jetzt aktiver als es manchmal ist. Das bekommt man oft ja auch einfach so mit, dass man gar nicht auf die Idee kommt, dass man selber die Macht hat, da etwas zu ändern. Und wenn man nicht die Idee bekommt, dann versucht man es gar nicht da etwas zu ändern, und somit wird es auch nicht geschehen.

Du würdest also sagen, dass alle die Möglichkeit haben, ihr Glück aktiv zu beeinflussen?

Definitiv. Also nicht im Sinne von, ich bin hundert Prozent smiliy-glücklich, das nicht. Das ist auch ein komplett unrealistisches Ziel. Aber man kann innerhalb der Spanne, die man hat, sein Glück aktiv beeinflussen. Man bringt eine gewisse Spanne mit, also jemand ist zum Beispiel von Natur her etwas melancholisch, und da zähle ich mich übrigens dazu, ich war schon als Kleinkind eher nachdenklich. Und da gibt es andere, die schon als Kleinkind den ganzen lieben Tag fröhlich und aufgestellt sind. Aber ich habe einen riesen Einfluss im Rahmen meiner Glücksspanne.

Was mache ich, wenn ich heute aufstehe und denke, es geht mir nicht gut? Mit dieser Information kann ich verschiedene Dinge machen. ich kann entweder sagen, hei, jeder hat mal einen schlechten Tag, alles nur halb so schlimm. Oder ich kann sagen, ja es ist einfach alles schrecklich, und überhaupt, die Welt ist voller Grausamkeiten, und alles geht zu Grunde. Oder ich kann sagen, ja, es ist besser als gestern. Also es gibt so viele Möglichkeiten, schon beim aufstehen, aber dann auch tagsüber. Man kann eigentlich den ganzen Tag über jede Entscheidung optimieren, wenn man will.

Ich habe zum Beispiel überlegt, wie kann ich es machen, dass ich morgens eine Routine entwickle, bevor ich aus dem Haus gehe, die einfach die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass ich einen guten Tag habe. Das heisst nicht, dass ich einen super Tag habe. Aber wenn ich zum Beispiel am morgen aufstehe und aus dem Haus hetze ohne gegessen zu haben und ohne geduscht zu haben, dann werde ich wahrscheinlich einen anderen Tag haben, als wenn ich sage, okay, ich nehme mir ein bisschen Zeit.

Was ist denn deine Routine? Ist es dir also wichtig zu duschen und zu frühstücken, oder hast du da noch irgendwelche geheimen oder speziellen Rituale, die dir morgens gut tun? Hast du irgendwelche guten Tipp, was man am morgen tun kann, damit es die Chance erhöht, dass man einen guten Tag hat?

Die Leute sind wahnsinnig angetan von Geheimnissen. Es gibt keine Geheimnisse. Der einzige Unterschied ist, einige Leute befolgen diese Dinge, und die anderen Leute lesen vielleicht darüber, aber setzen nie etwas um. 

Ich persönlich habe mir überlegt, welchen Effekt all diese Dinge, die ich morgens immer gemacht habe, auf mich haben. Ich habe zum Beispiel früher Radio gehört, und da habe ich gemerkt, okay, so toll finde ich diese Musik nicht, da habe ich bessere Musik auf meinem iPod.
Über die Wichtigkeit von Nachrichten kann man sich streiten. Man kann sagen, wenn etwas wichtiges passiert, kriege ich es sowieso mit, wenn nicht, warum sich damit beschäftigen. Das ist meine subjektive Einschätzung. Das kann jeder Mensch selber durchgehen. Und schauen, ob er in einer automatischen Routine gefangen ist, die sich einfach ergeben hat, weil man nie darüber nachgedacht hat. Oder, ist es so optimiert, dass ich sage, ich gönne mir zum Beispiel am Morgen eine Mediation – das mache ich persönlich - oder ich gönne mir eine Zeit am Morgen, wo ich schreibe, oder ich höre mir etwas an, was mich inspiriert, einen guten Podcast oder so.
Wenn ich zur Arbeit gehe, habe ich geschaut, dass ich da zu Fuss hingehen kann. Ich habe mich extra nur dort beworben, wo ich zu Fuss hin kann. Es ist mir bewusst, dass dies nicht jeder kann, aber für mich war es ein Investment in meinen Tag, wenn ich morgens eine halbe Stunde zu Fuss zur Arbeit gehen kann. Und wenn man sich so die kleinen Dinge überlegt und dann immer die Lösung nimmt, die einem ein bisschen glücklicher macht, dann kumuliert sich das schon.

Es hat ja sehr viel mit Bewusstheit zu tun. Zuerst muss man ja mal merken, dass der Spaziergang zur Arbeit einem vielleicht gut tut. Und es hat auch mit Fokus zu tun, worauf mach sich achtet. Zum Beispiel wahrzunehmen, dass viele negative Nachrichten zu hören einem vielleicht nicht eine bessere und glücklichere Laune macht.

Ja, und das wichtige ist ja, obwohl das vielleicht etwas egoistisch klingt, aber der Welt ist nicht geholfen, wenn ich deprimiert am Frühstückstisch sitze. Das ist wichtig, sich das bewusst zu sein. Die Leute denken, sie hätten eine Pflicht da irgendwie mitzuhören. Aber wann war das letzte mal, das man dann wirklich zum Beispiel einer Familie kondoliert hat, die eine Tochter bei einem Verkehrsunfall verloren hat. Gar nie. Diese Familie wird nie erfahren, ob ich jetzt darüber Bescheid weiss oder nicht. Aber wenn meine Stimmung konsequent gedrückt wird, ist es unwahrscheinlicher, dass ich irgendetwas mache, was diese Welt weiterbringt.

Wenn ich aber sage, okay, ich bin selektiv, wenn mich ein Thema speziell interessiert. Nehmen wir als Beispiel das Flüchtlingsthema. Dann sage ich nicht, ich will konsequent alles ausschalten. Aber dann kann man selektiv sagen, ich lasse die Nachrichten über die Flüchtlinge zu mir durch, aber ich ergreife dann die Initiative und mache etwas mit dieser Info. Und dann fühle ich mich nicht hilflos. Aber wenn ich einfach dasitze und hilflos bin, dann ist es schlecht.

Ja, damit könnte man auch das eudämonistische Glück verstärken, wenn man da die Imitative ergreift.

Absolut.

Anmerkung: Was das eudämonistische Glück ist, liest du im Teil 1 vom Interview.

Über einige haben wir ja bereits gesprochen. Was würdest du sagen, was sind denn sonst noch die grössten Glücksverhinderer?

Wir haben gewisse Denkmuster, die wir von der Gesellschaft mitbekommen. Eines davon lernst man bereits in der Schule. Und zwar folgendes: "Wenn ich etwas nicht einfach kann, dann bin ich dumm. Dann habe ich einen Fehler gemacht, und Fehler müssen vermieden werden". Das ist eigentlich das Gegenteil von einem  - ich sag es jetzt auf Englisch, weil wir auf Deutsch immer noch kein intelligentes Wort dafür gefunden haben – Growmindset. Grow heisst Wachstumseinstellung. Eine Wachstumseinstellung bedeutet, dass man sagt, auch wenn mir etwas schlechtes passiert, kann ich daraus lernen, und mit Effort werde ich besser. Ein Fixtmindset, eine fixierte Einstellung bedeutet, wenn ich etwas nicht kann, dann habe ich kein Talent, und dann gebe ich eigentlich auf, weil es bringt ja nichts. Das ist mal das eine.

Das andere ist unsere Tendenz, sich immer vergleichen zu wollen. Da kann man nicht gewinnen. Weil es hat immer jemand, der schöner ist oder der mehr Geld verdient. Wir können nicht gewinnen, es ist ein Spiel, bei dem man von Anfang an verliert. Und trotzdem machen so viele von uns da mit.

Dann gibt es noch Denkfallen, wo man sagt, "ich werde glücklich sein, wenn..." da kann man reinsetzen was man will. Zum Beispiel wenn ich im Lotto gewinne, oder wenn ich heirate, oder wenn ich mich scheiden lasse, oder xy.
In der Regel ist unsere Zeit besser investiert, die Person zu werden, die diese Ziele erfüllen kann.

Dies sind so die grössten Hindernisse.

Und dann auch, dass man einfach das nicht tut, was einem gut tut. Die meisten von uns wissen genau, ach, jetzt habe ich zu viel gearbeitet und zu wenig Zeit mit meinen Liebsten verbracht. Aber wir ändern oft nichts daran, weil es am Anfang nur ein bisschen ein ungutes Gefühl ist, und oft warten wir dann zu lange.

Teil 1 von unserem Gespräch findest du hier

Teil 3 von unserem Gespräch findest du hier.

Teil 4 von unserem Gespräch findest du hier.


Über Kristen Truempy

Kristen Truempy hat positive Psychologie studiert (Master in London).
Sie versteht sich heute als Botschafterin der positiven Psychologie.

Foto: Kristen Truempy

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