Liebe Susanne, magst du dich kurz vorstellen?
Ich bin Susanne Bohn, 58 Jahre alt, ich lebe mit meinem Mann am Stadtrand von Nürnberg, im schönen Franken inmitten von Wiesen und Feldern, nahe am Main-Donau-Kanal. Wir sind beide selbständig und arbeiten in unserem Haus. Unsere beiden Töchter haben bereits Familien gegründet, und leben in Luzern und in Erlangen.
Du hast gesundheitlich eine sehr herausfordernde Zeit hinter dir. Magst du erzählen, wann und wie alles angefangen hat?
2005 hatten wir eine klassische «Winter-Infektion» in der Familie mit Husten, Schnupfen etc.; allerdings waren mein Mann und meine Töchter nach wenigen Tagen wieder fit, und ich war 8 Wochen lang flach gelegen - total schwach mit diffusen Kopfschmerzen und bleischweren Gliedern.
Bei der Blutuntersuchung wurde ein Eppstein Barr Virus entdeckt.
Danach war ich erstmal wieder voll fit und leistungsfähig, allerdings haben sich ab diesem Ereignis immer dann, wenn ich mit Viren in Berührung gekommen bin oder mich überanstrengt habe, oben beschriebene Symptome gezeigt.
In den darauffolgenden Jahren kamen diese Schmerz- und Schwächephasen immer häufiger, bis ich ab 2019 nicht mehr alleine das Haus verlassen konnte und von da an bis Anfang 2024 80% meiner Zeit auf der Couch oder im Bett liegen musste.
Siehst du rückblickend einen Auslöser, oder kam es schleichend?
Aus meiner Sicht war der Auslöser eine umfassende Überlastungssituation: Mein Alltag bestand aus ganz normalen Familienorganisationsaufgaben, der Erziehung meiner Töchter und parallel dem Aufbau und der Weiterentwicklung meines Unternehmens. Das alleine war viel, aber okay.
2003 ist meine Mutter überraschend gestorben, was meinen Vater nach gewisser Zeit sehr mitgenommen hat und er sehr beunruhigende psychische Probleme entwickelt hat. Das heißt, ich hatte zusätzlich zu meiner anspruchsvollen Lebenssituation plötzlich sehr viele Sorgen, viele zusätzliche Arzttermine, habe Therapiemöglichkeiten für meinen Vater gesucht und war – auch nachts - an seinem Krankenhausbett gesessen…
Aus meiner Sicht rückblickend, war der Virus ein Tropfen auf den heißen Stein. Er hat mir die Ruhe gegeben, die mein Organismus damals zu dieser Zeit gebraucht hat, ich das natürlich so nicht gesehen habe, weil ich ja prinzipiell körperlich fit und rundum glücklich war.
Welches waren (sind) deine Beschwerden und Symptome?
Die intensivsten Symptome waren das Gefühl von Bleischwere in den Gliedern, starke diffuse Kopfschmerzen, die nur im Flachliegen zu ertragen waren und Fatigue, also eine anhaltende Ganzkörperschwäche. Zudem massive Schlafstörungen, Verdauungsbeschwerden, und eine Reizblase.
Hast du eine Diagnose gekriegt?
2017 war ich in der Deutschen Klinik für Diagnostik DKD Helios Wiesbaden. Dort wurde von den Neurologen eine «Sonderform von Migräne» diagnostiziert. Allerdings habe ich die mir damals verabreichten Migränemedikamente nicht vertragen und daher diesen Weg nicht weiterverfolgt.
2019 habe ich im Charité Fatigue Zentrum, Berlin, die Diagnose «Chronisches Fatigue Syndrom» erhalten.
Wie hat deine Gesundheit dein Leben beeinflusst und eingeschränkt? Wie sah dein Alltag vorher aus? Wie sah dein Alltag während deiner gesundheitlichen Probleme aus?
In den ersten Jahren habe ich versucht, die Symptome zu unterdrücken und meine familiären und beruflichen Aufgaben – wie gewohnt – zu erfüllen. D.h. ich habe mich mit Schmerzmitteln etc. «gedopt» und mich durch die Verpflichtungen «gepusht».
Vorher habe ich mit Energie und Dynamik viele verschiedenen Aktivitäten gemacht, zum Ausgleich habe ich Nordic Walking und Fitness gemacht. Das war immer weniger möglich, weil auch sportliche Betätigung oft die Symptome ausgelöst haben.
Wie haben die Ärzte auf deine Probleme reagiert? Hast du Unterstützung und Verständnis erfahren?
Die AllgemeinmedizinerInnen haben mich immer auf meine hohe Arbeitsbelastung angesprochen und mir vor allem Ruhe «verordnet». Bei verschiedenen FachärztInnen, wie Innere Medizin, Endokrinologie, Neurologie war die Reaktion bei mangelnder Diagnose meist: «Das kann nur etwas Psychisches sein.» Bis dahin, dass ein Neurologe eine somatisierte Depression sehen wollte…
Wie ging dein Umfeld mit deinen gesundheitlichen Problemen um?
Meine Familie, d.h. mein Mann und meine Töchter, haben teilweise mit Unverständnis reagiert, wenn ich tagsüber mit KundInnen arbeiten konnte, abends jedoch unfähig war, noch weiter aktiv zu sein. Mein Team im Büro hat sich darauf eingestellt, mich mit körperlichen Tätigkeiten, z.B. bei der Moderation von Workshops zu unterstützen. Mit der Zeit habe ich auch immer jemanden gebraucht, der mich zu Kundenterminen fährt.
Was hast du alles ausprobiert, um deine gesundheitliche Situation zu verbessern?
Am Anfang dachte ich natürlich, ich hätte ein schwaches Immunsystem wegen meiner arbeitsreichen Lebenssituation und habe alles getan, um dies zu unterstützen: Natürliche Ernährung, Bewegung an der frischen Luft, eine Kneipp-Kur mit anschließend täglichen Wasseranwendungen, Nahrungsergänzungsmittel.
Zudem: Homöopathie, Ayurveda, TCM, Akkupunktur, Osteopathie, Psychotherapie, Colon-Hydro-Therapie, Eigenblut-Therapie, Vitamin-Infusionen, Dunkelfeldanalyse, Bioresonanztherapie, «Heiler», Pacing, Schlaftherapie…
Was hat dir geholfen, nicht aufzugeben?
Allem voran meine Familie, mein Mann, der sich wunderbar auf unsere neue Lebenssituation eingestellt hat. Er hat seine Tätigkeit als Qualitätsmanager in der Automobilindustrie aufgegeben, um mein Unternehmen weiterzuführen. Parallel hat er eine Ausbildung zum Osteopathen gemacht und in unserem Haus eine Praxis eröffnet, so dass er immer bei mir sein konnte.
Psychisch haben mir zwei bekannte Menschen «virtuell» durch ihre Bücher und über ihre Videos auf YouTube sehr geholfen: Ekkehard Tolle hat mir durch sein Buch «JETZT – die Kraft der Gegenwart» gelehrt, wie ich den Moment schätzen kann – ohne die Gesamtsituation negativ zu beurteilen: Auch wenn ich Schmerzen habe und alleine im Bett liegen muss, ist das ein schöner Moment, ein bequemes Bett zu haben, ein Fenster mit Blick auf den Wald und die Felder, einen Mann, der mir leckeres Essen kocht…
Durch Jon Kabat Zinn habe ich verstanden, dass «das Leben selbst Meditation ist» und ich achtsam und dankbar jeden Moment als etwas besonderes und einzigartiges erleben kann. Dies habe ich durch sein von ihm konzipiertes MBSR-Training, beschrieben im Buch «Das große Buch der Selbstheilung durch MBSR», das ich alleine durchgearbeitet habe - mit seinen Anleitungen auf YouTube- tief verinnerlicht.
Diese Beiden und mein christlicher Glaube haben mir geholfen, mit Akzeptanz und Dankbarkeit «meinen Weg zu gehen».
Dankbar bin ich vor allem für meinen fürsorglichen Mann, meine Töchter, ihre Partner und Kinder, für meinen Vater, der sich wunderbar erholt hat und mit einer liebevollen Partnerin wieder rundum glücklich wurde.
Du hast eine starke Verbesserung erfahren dank einem Nervensystemregulationsprogramm (CFS Recovery Jumpstart Programm von Miguel Bautista). Wie bist du darauf gestossen? Wie lange machst du das schon? Was hat sich verändert/verbessert?
In den letzten Jahren habe ich weltweit im Internet nach CFS Recovery gesucht und bin zuerst auf Raelan Agle gestoßen, die selbst von CFS genesen ist und die ihre Genesungserfahrungen sowie die Genesungswege anderer CFS Erkrankter in Interviews auf YouTube veröffentlicht. Ich habe mir ihre Geschichte und die anderer angehört und immer wieder auf Wege für mich gesucht, allerdings die ersten Jahre noch nicht gefunden.
Dann habe ich festgestellt, dass mehr und mehr CFS-Recovery-Programme auf YouTube vorgestellt werden. Auch diese habe ich mir angehört und war mir nicht sicher. Dann habe ich Miguel Bautista gefunden, der CFS als Dysregulierung des Nervensystems erläutert hat. Als Nicht-Medizinerin habe ich mir erstmal schwer getan, diese Theorie zu verstehen. Allerdings hat eine Bekannte, die eine medizinische Ausbildung hat und auch an CFS erkrankt ist, das Programm bei Miguel begonnen. Sie hat mir in verständlichen Häppchen die Funktion des Gehirns und des autonomen Nervensystems in Beeinflussung der CFS-Symptome erklärt. Das war mein erster Mind-Shift: «Es ist NUR das Nervensystem!»
Dann habe ich mir das Buch von Miguel Bautista gekauft und anschließend einen Call mit ihm vereinbart.
«Long story short»: Seit November 2023 bin ich intensiv in das CFS Recovery-Programm eingetaucht und gehe seit Januar 2024 wieder täglich spazieren. Gefühlt war ich – nach 8 Monaten – zu 70 % genesen. Und heute, nach 9 Monaten, bin ich gefühlt zu 90 % genesen,
Wie muss man sich das vorstellen, bist du den ganzen Tag am Übungen machen? Kannst du ein Beispiel erzählen, was du seither anders machst?
In den ersten 5-6 Wochen habe ich mich den ganzen Tag mit Recovery beschäftigt, z.B. Recovery-Stories angehört oder mir die Erfolge der fortgeschrittenen Teilnehmenden auf unserer gemeinsamen Programm-Plattform angeschaut. Denn: der wichtigste erste Schritt ist, dass man zu 100% daran glaubt, dass man wieder gesund werden kann. Seit meinem Termin in der Charité war ich fest davon überzeugt, dass CFS nicht heilbar ist und dass ich als behinderte Person voraussichtlich bis ans Ende meines Lebens hilfs- und pflegebedürftig sein werde…
Die wichtigste Übung war und ist, auf auftretende Symptome positiv oder zumindest neutral zu reagieren. Somit dem lymbischen System zu signalisieren, dass «keine Gefahr» besteht, also auch kein Grund, mir Symptome zu schicken, die mich zum Liegen zwingen.
Ich habe auch täglich eine Aktivität visualisiert, die ich als nächstes wieder machen möchte, z.B. mit meinem Mann ganz langsam eine Runde ums Haus spazieren gehen.
Das habe ich derart erweitert, dass ich täglich eine Aktivität ausführlich schriftlich visualisiert habe. Alles was sich in meiner Vorstellung gut angefühlt hat, konnte ich dann als nächstes auch umsetzen.
Was hat dir am Programm am meisten geholfen?
Die persönliche Begleitung und der Perspektivwechsel: alles zu vergessen, was ich vorher über CFS gehört habe, daran zu glauben, dass CFS heilbar ist – also wieder komplett verschwinden kann.
Das Verständnis, dass körperliche Aktivität erst dann möglich ist, wenn ich mich mental darauf vorbereitet habe. Z.B. hatte ich richtig Angst, ein längeres Stück zu laufen oder wieder alleine aus dem Haus zu gehen, weil ich ein paarmal beim Einkaufen einen Schwächeanfall hatte und mich dort auf den Boden legen musste. Das wollte ich nicht mehr erleben.
Es war wichtig, hier wieder Vertrauen zu gewinnen. Das habe ich durch die 30-Tage-Mini-Challenge geschafft: Jeden Tag 5 Minuten auf der Terrasse laufen und bei auftretenden Schmerzen mir sagen «Alles ist gut. Es ist nur das Nervensystem.» Gleichzeitig habe ich mich zum Essen wieder an den Tisch gesetzt, obwohl ich mir lange nicht mehr vorstellen konnte, wie Menschen es schaffen, den Kopf aus eigener Kraft aufrecht zu halten… Das hat bei mir Jahre lang Schwindel und Übelkeit erzeugt. Daher war dies am Anfang sehr unangenehm und wurde von Tag zu Tag besser, dadurch dass ich mir innerlich gesagt habe «Es ist nur das Nervensystem und ich freue mich, mit meinem Mann am Tisch zu sitzen.» Parallel dazu hat mir bei starken Symptomen meine Lieblingsmusik sehr geholfen, zuversichtlich durch die Symptome zu gehen.
Was fandest du herausfordernd auf dem Genesungsweg?
Ehrlich gesagt: es hat mir richtig viel Freude gemacht, einen klar strukturierten Prozess zu haben mit Menschen, die mich begleiten, denen ich vertrauen kann, weil sie selbst durch diesen Weg wieder gesund wurden. Da ich selbst Coach bin, habe ich die Methoden und Übungen geliebt und gerne mit viel Herzblut, Hoffnung und Dankbarkeit umgesetzt, was sich letztlich ausgezahlt hat, dadurch dass ich recht bald wieder gut funktionsfähig wurde.
Wie geht es dir und deiner Gesundheit heute?
Ich fühle mich relativ «normal» mit dem Unterschied, dass ich meinen Alltag sehr bewusst lebe und gut darauf achte, wann ich eine Pause brauche, wieviel ich mir vornehme und dass ich bei allen Entscheidungen und Anfragen – privat oder beruflich – immer überlege, was eine Zusage für eine Bedeutung für mein Wohlbefinden hat.
Du hast mir erzählt, dass du daran bist, deine Geschichte aufzuschreiben. Was hat dich dazu bewogen, ein Buch zu schreiben?
Ich habe im letzten Winter eine Auszeit in den Schweizer Bergen gemacht. Normalerweise habe ich im Winter immer nach Lösungen im Internet gesucht. Dieses Jahr hatte ich plötzlich den Impuls, meine Erfahrungen und Emotionen, meine Phasen in den letzten Jahren und Erkenntnisse daraus aufzuschreiben. Das hatte etwas sehr Entlastendes. Als ich dann rund 30 Seiten zusammenhatte, dachte ich, das könnte womöglich auch anderen Betroffenen oder deren Angehörigen helfen, das ist meine Motivation, daraus ein Buch zu machen.
Was würdest du Menschen sagen, die mit denselben gesundheitlichen Herausforderungen kämpfen wie du?
Halte Ausschau nach einem Programm, das Dich anspricht. Vereinbare ein Informationsgespräch. Höre Dir nur noch CFS-Recovery-Stories an. Lies Bücher von ehemals Betroffenen, die wieder genesen sind. Nimm Deine Symptome wahr als Botschaften des Nervensystems, mehr nicht. Glaube fest an Deine Genesung.
Was sind deine drei besten Tipps, um heute den ersten Schritt zu machen, um das Nervensystem zu regulieren?
1_Sobald Du Symptome spürst, tue etwas, was Dir gut tut, was Dich zum Lächeln bringt, auch wenn Du Schmerzen hast, z.B. Fotos mit schönen Erinnerungen anschauen, einen leichten humorvollen Film schaun, Deine Lieblingssongs hören mit guter Stimmung.
2_Bei Schmerzen, mache eine Übung zur Schmerzregulierung. Hier gibt es Anregungen auf YouTube.
3_Wenn Zukunftsängste auftreten, fokussiere Dich nur auf diesen oder die nächsten beiden Tage, dass Du diese gut meisterst und gut auf Deine Symptome reagierst.
Herzlichen Dank Susanne für dieses ehrliche, motivierende und berührende Interview.
Über Susanne Bohn
Susanne Bohn, geb. 1966, ist verheiratet, Mutter zweier erwachsener Töchter plus 3 Enkelkinder. Seit 1998 ist sie Inhaberin eines Weiterbildungsunternehmens für Führungskräfte mit dem Schwerpunkt Personal- und Organisationsentwicklung. Sie hat viele Jahre als externer Coach sowie Moderatorin von Veränderungsprozessen in Unternehmen gearbeitet. Susanne liebt es, in der Natur zu sein, hört und macht gerne Musik, versinkt in Biografien bedeutungsvoller Menschen, genießt alles, was mit der französischen Kultur zu tun hat und vor allem hat sie viel Freude an und mit ihrer Familie.
Du möchtest auch anfangen, dein Nervensystem besser kennenzulernen und mit ihm zu arbeiten? Ich bin gerne für dich da:
Ich habe Deinen Text gelesen und bin sehr beeindruckt. Ich interessiere mich für weitere Entwicklungen oder neue Ergebnisse. Ich würde gerne mit Dir ein persönliches Gespräch führen!
Herzlicher Gruß
Hans-Rudolf Kamber
Lieber Hans-Rudolf
es freut Susanne und mich sehr, dass dich Susannes Geschichte beeindruckt hat. Sehr gerne werden wir hier über die weitere Entwicklung informieren.
Herzliche Grüsse
Anna